Auf der sogenannten Märtyrerwiese vor unserer Basilika St. Paulin steht auf geschichtsträchtigem Grund das wohl am meisten ins Auge fallende Kreuz unserer Pfarrei, ein altes Steinkreuz. Seine Errichtung wird um das Jahr 1088 angenommen.
Auf einem Stufensockel steht eine fast 3 m hohe Sandsteinsäule, gekrönt von einem auf einem Pinienzapfen stehenden gleichschenkligen Kreuz aus Kalkstein. Der Pinienzapfen im Kapitell ist ein antikes Heils- und Lebensbaumsymbol, ein Zeichen der Hoffnung auf Auferstehung; an römischen und frühchristlichen Grabstätten fand man Pinienzapfen oft als Grabbekrönung.
Die Bedeutung des Kreuzes ist vielfältig. Die einen sehen in ihm ein Märtyrerkreuz, die anderen ein Marktkreuz, Gerichtskreuz oder Immunitätszeichen. Mit letzter Gewissheit lassen sich die Interpretationen des Kreuzes heute noch nicht klären.
Für die Deutung eines Marktkreuzes spricht unter anderem, dass es – wie das in der Achse des Domes stehende Kreuz auf dem Trierer Hauptmarkt – gleichfalls exakt in der verlängerten Kirchenachse steht, ca. 60 m vor dem Portal der Paulinuskirche. Bis Mitte des 19. Jh. soll auf dem Platz vor der Kirche noch der Markt für Fassdauben abgehalten worden sein. Für die Deutung eines Gerichtskreuzes sprechen die sich in der Nähe befindenden Gerichtssteine. Nicht ohne Grund wird das alte Steinkreuz jedoch bis auf den heutigen Tag im Volksmund „Märtyrer-Kreuz“ genannt. Tatsächlich kann man einen Zusammenhang mit der Verehrung der Trierer Märtyrer herstellen, denn das Kapitell trägt umlaufend ein Schriftband, in das eingehauen ist:
ME PIUS EXTRUXIT CUONO REMIGIUSQ DEDICAVIT
Mich hat der fromme Kuno errichtet und Remigius hat mich geweiht
Kuno war Probst des Stiftes St. Paulin, Remigius wohl sein Nachfolger. Sie spielten eine bedeutende Rolle bei der Auffindung der Märtyrergebeine 1072, der anschließenden Umgestaltung der Pauliner Krypta und der Errichtung der Mauritiuskapelle auf dem Friedhof, die auch Marterkapelle genannt wird und heute als Einsegnungskapelle dient.
Dass die Vorstellung von einem Märtyrerkreuz auch später nie verloren ging, zeigen die Deckenfresken der jetzigen Barockkirche. Im zentralen Bild versammeln sich die Märtyrer hinter diesem Kreuz. An den Gerichtssteinen mit ihren Blutrillen im Vordergrund erkennt man den Ort als Pauliner Flur, diese Steine befinden sich noch heute auf der Wiese vor der Kirche. Unter dem Kreuz steht geschrieben:
HI SUNT QUI VENERUNT DE TRIBULATIONE MAGNA
ET LAVERUNT STOLAS SUAS IN SANGUINE AGNI.
IDEO SUNT ANTE THRONUM DEI :
Apoc. : C : 7.V :14.&15.
Es sind die, die aus der großen Bedrängnis gekommen sind
und ihre Gewänder im Blute des Lammes gewaschen haben.
Darum stehen sie vor dem Throne Gottes. (Apg 7,14 f)
So ist dieses alte Steinkreuz auf der Märtyrerwiese eine stetige Erinnerung an das Zeugnis und die Treue unserer Vorfahren, derer wir jedes Jahr im Oktober an den Märtyrertagen gedenken.
Früher haben in diesen Tagen die Pauliner am Märtyrerkreuz die Prozessionen der Nachbar-pfarreien empfangen und sind in einem Fackelzug mit dem Reliquiar des Hl. Paulinus in die Kirche eingezogen, um dort gemeinsam ein festliches Hochamt zu feiern.
Auch heute wird das Märtyrerkreuz in die Liturgie mit einbezogen: Am Palmsonntag findet an dieser Stelle die Palmweihe statt, und in der Osternacht wird dort das Osterfeuer entzündet; der feierliche Einzug der Erstkommunionkinder führt daran vorbei, ebenso die Fronleichnamsprozession. Dieses Kreuz auf der Märtyrerwiese, ebenso wie seine Abbildung in den Deckenfresken unserer Basilika, führt uns immer wieder vor Augen:
Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung!